Einleitung Öffentlichkeit
Was kann ich in der Öffentlichkeit machen?
„Wie spreche ich einen Fremden in der Öffentlichkeit an? Oder macht man das überhaupt?“
In der Öffentlichkeit etwas zu sagen, finden einige Menschen schwieriger als in anderen Umgebungen. Für andere wiederum ist das Ansprechen in der Öffentlichkeit einfacher – da es sich um Unbekannte handelt, die keine Macht oder Verbindungen zum eigenen Leben oder zur eigenen Arbeit haben.
Prüfe selber, wo dein eigener Wohlfühlbereich in solchen Situationen liegt, und schätze immer zuerst die eigene Sicherheit ein, bevor du etwas sagst.
In solchen Situationen können Verbündete das entscheidende Element sein. Wie hoch ist der Preis von Stillschweigen? Wenn nicht du etwas zum Kassierer sagst, zur Stewardess oder zum Sicherheitsdienst, wer wird es tun?
Wenn zwei – drei – vier Fremde sich zusammen tun, und zusammen gegen eine Herabwürdigung etwas sagen, entsteht ein Druck zur Veränderung.
Egal ob die Situation sich um einen Kellner, eine Polizistin oder einen Taxifahrer dreht, denke an zwei Dinge: Macht und Vorschriften. Wer hat die Macht über die angegriffene Person? Und gibt es Vorschriften, die eine Beschwerde ermöglichen? Wenn ja, bleib wachsam und ausdauernd, damit deine Beschwerde durch die passenden Kanäle weiterfließt. Wenn nein, frag nach, warum solche Vorschriften nicht existieren – und frage weiter, wenn es sein muss die ganze Leiter hoch.
Erlebnisse & Inspirationen
Was mache ich bei unfairem Kundenservice?
Erlebnisse
- In Genf sitzt eine Frau im Wartezimmer des Arztes und bemerkt einen russisch-sprechenden Immigranten, der an der Rezeption mies behandelt wird. Die Frau steht auf, stellt sich neben den Mann und schaut aufmerksam zu. „Ich habe mich einfach neben ihn gestellt und bin nicht weg gegangen bis die Rezeptionistin ihm endlich geholfen hat.“
- „Ich war in Jena unterwegs, wo ich wohne. Seit mehr als einem Jahr bezog ich meinen Tee vom Geschäft ABC. Mein Lieblingstee ist ‚Schlafschön Tee‘. Danach fragte ich auch diesmal. Der Mann sagte nur ‚Führen wir nicht.‘ Ich war verwirrt, ich hatte den Tee doch schon mehrfach hier gekauft. Ich fragte noch mal nach ‚Schlafschön Tee‘. Wieder ein unwirsches ‚Haben wir nicht.‘ Ich stand ziemlich verwirrt in dem Geschäft. Wieso gab es meinen Lieblingstee auf einmal nicht und warum war der Mann so unwirsch? Das ist doch kein Service. Ich versuchte es noch ein drittes Mal ‚Ich habe hier schon einige Male Schlafschön Tee gekauft. Den möchte ich wieder.‘ Jetzt kam die Antwort ‚Sie meinen Schlafgut Tee.‘ Ja, davon habe ich dann genommen. Was für ein unschönes Erlebnis.“
- Nach einer rassistischen Beleidigung in einem Fitnessstudio in Eupen will die Studioleitung nicht eingreifen und definiert den Vorfall als „Privatangelegenheit zweier Mitglieder“. Wenige Wochen später reagiert die gleiche Studioleitung hingegen konsequent, als ein anderes Mitglied, das sich über die Figur eines Gastes lustig macht, offiziell angeschrieben und mit der fristlosen Kündigung bedroht wird.
- „Ich war auf der Ausländerbehörde und habe nach 10 Jahren in Deutschland meine Niederlassungsbewilligung bekommen. Ich bekam sie ausgehändigt und – nichts weiter. Kein Wort, keine Broschüre. Also auch nicht kurze Informationen über Rechte und Pflichten. Also fragte ich, ob es Informationen zu Rechte und Pflichten gibt. Die Person schaute kurz auf, sagte nichts, wies mit der Hand auf das tausende Seiten dicke Buch Ausländergesetz. Ich bin dann einfach gegangen.“
Sag was!
Es ist nur zu bekannt: Angestellte im Kundenservice hatten kein Training, wie sie mit verschiedenartiger Kundschaft umgehen sollten. Die meisten von uns wollen keine Szene machen. Doch den Kundenservice auf sein vorurteils-beladenes Verhalten anzusprechen, kann ein starkes Signal senden – auch an andere Kundschaft. Wenn Vorurteile das Verhalten vom Kundenservice beeinflussen, überlege ob Folgendes helfen kann:
Inspirationen
Setz dich für dich selber ein. Wenn du selbst das Ziel eines respektlosen Kundenservice bist, lasse die Person wissen „Mir steht zu, mit Respekt in einem Geschäft behandelt zu werden, in das ich mein Geld trage.“
Etabliere Augenkontakt. Schau die anderen Anwesenden an. Nutze Körpersprache um Ihre Unterstützung und Hilfe zu erbitten.
Setz dich für andere ein. Wenn du bemerkst, dass eine andere Person mit Vorurteilen konfrontiert wird, geh hin! Stell dich daneben und zeige, dass du aufmerksam zuhörst. Vielleicht reicht das schon, der handelnden Person bewusst zu machen, was sie tut? Sonst sag etwas Neutrales, um auf das Vorurteil hinzuweisen.
Geh die Leiter hoch. Erlaube niemandem, andere schlecht zu behandeln, wenn es in deiner Macht steht zu helfen. Kümmere dich nicht nur um deinen Kram. Sag was gegen diese alltäglichen Vorurteile, wann immer sie stattfinden, wer auch immer involviert ist. Wenn im Gemüseladen der Kassierer eine Person, die nicht gut Deutsch spricht, schlecht behandelt, prüfe, ob sie Hilfe braucht. Stelle dich daneben, zeige, dass du aufmerksam der Situation folgst. Sage dem Kassierer „Diese Person lebt in unserer Nachbarschaft, sie trägt ihr Geld in dieses Geschäft. Sie haben eine Verantwortung, dass das Geschäft positiv zu unserer Nachbarschaft beiträgt. Oder sprich die Inhaber*innen an.
Was kann ich gegen ungerechte Firmenvorschriften machen?
Erlebnisse
- Eine türkisch-stämmige Familie macht Halt bei einem Fast-Food Restaurant, wo eine türkisch-stämmige Frau sie begrüßt. Der Mann bestellt auf Türkisch. Die Angestellte antwortet „Können Sie das bitte auf Deutsch wiederholen?“ Der Mann wiederholt die Bestellung auf Deutsch und sagt dann „Aber sie sprechen bestimmt Türkisch, ihr Akzent ist ja wie meiner.“ Die Angestellte schaut sich schnell um und sagt „Ja, tue ich, aber ich darf hier nicht Türkisch sprechen; mein Vorgesetzter könnte mir Schwierigkeiten bereiten.“
Auf dem Weg nach Hause fängt die 4-jährige Tochter an zu weinen. Sie halten an um herauszufinden, was los ist. Das kleine Mädchen flüstert auf Türkisch ins Ohr ihrer Mutter „Ich kann noch nicht so gut Deutsch sprechen, und ich will keine Schwierigkeiten machen.“
- Bei der Bewerbung auf eine feste Stelle … hat man mi[ch] nach nur kurzem Vorstellungsgespräch darauf hingewiesen, dass ich a) überqualifiziert bin und man damit rechnet, nicht lange auf der Stelle zu bleiben b) und als zweiter Grund wäre in meinem Alter ja eine Schwangerschaft auch noch möglich, bzw. nicht auszuschließen. Da die Stelle jedoch schon 2 x kurzfristig aus diesen Gründen wieder neu besetzt werden musste, möchte man das Risiko nicht noch einmal eingehen. Diese Aussage wurde im Beisein des Vertreters des Personalrats vorgenommen, der in keinster Weise einschritt.
Sag was!
Wenn Firmen ausgrenzende Vorschriften erlassen, fühlen sich einige Kund*innen und Angestellte schikaniert. Weil oft Führungskräfte oder Zentralen ohne direkten Kontakt diese abwertenden Vorschriften erstellen, kann es in solch einem Moment echt schwierig sein, herauszufinden, was man machen kann.
Inspirationen
Ergründe ohne Beschuldigungen. Besprich die Vorschrift mit den Angestellten, und frag nach mehr Informationen, warum diese Vorschrift existiert. „Was ist problematisch daran, wenn wir Türkisch sprechen? Wir schaden damit niemandem. Wissen Sie, warum es diese Regel gibt? Was steckt dahinter?“
Geh die Leiter hoch. Frage nach der Schichtleitung, und frage diese Person, ob sie dir die Vorschrift erklären kann und warum sie existiert. Frag nach Kontaktinformationen zur Geschäftsführung oder zur Zentrale. Frage auch nach dem formal korrekten Weg einer Beschwerde. Und nutze sie.
Lass es dir schriftlich geben. Lass dir die Regel gedruckt zeigen. Entweder von der Schichtleitung oder Geschäftsführung oder Inhabenden oder von der Zentrale. Frage, wer letztendlich die Vorschrift verantwortet. Dann klemm dich dahinter, dass diese Person eine Änderung durchführt.
Sprich mit den Medien. Wenn Firmen auf deine Anfrage nicht reagieren, sprich mit lokalen Reporter*innen oder den nationalen Medien. Suche Journalist*innen, die über die Beziehungen zwischen unterschiedlichen Ethnien schreiben, oder Diversität in der Nachbarschaft etc. Erkläre, was passiert ist, und biete schriftliche Informationen an.
Wie verhalte ich mich bei Kommentaren von Fremden?
Erlebnisse
- Ein Schwuler aus Zürich schreibt, wie er am Tag nach einer lokalen Schwulen-Parade die Straße entlang ging. Dabei kam er an einem Mann vorbei, der einer Frau laut erklärt „Überall waren Schwuchteln. Ich hätte sie am liebsten umgebracht.“
- Eine Studentin aus dem Saarland sucht eine Wohnung, ihre Mutter hilft ihr dabei. Sie sitzen in einem Restaurant und kommen mit den Leuten am Nebentisch ins Gespräch. Ihre Mutter fragt, welche Nachbarschaften für Studentinnen gut sind. Der Mann am anderen Tisch sagt, „Eigentlich alle Nachbarschaften in der Stadt sind gut; wir versuchen Türken und Araber außerhalb der Stadt zu halten.“ Sie sagt „Ich war schockiert und ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Wie verhalte mich bei einem Fremden in einem Restaurant? Oder sage ich überhaupt was? Ich werde nie den Schock und die Wut vergessen, die ich in dem Moment fühlte.“
- Eine Maklerin erlebt, dass ein Hauseigentümer sich weigert, eine Wohnung an eine Schwarze Familie zu vermieten.
- „„Sie sehen gut aus. Haben Sie abgenommen?“ Dieses Schein-Kompliment habe ich schon so oft gehört. Es reduziert mich auf mein Gewicht. Warum sollte Dünnsein wertvoll sein?“
Sag was!
Wenn Menschen, die wir nicht kennen, krasse Vorurteile von sich geben, kann uns das sprachlos machen – und unseren Sinn für Sicherheit herausfordern.
Inspirationen
Schätze dein Umfeld ein. Eine heftige Auseinandersetzung mit einem Fremden kann in physische Gewalt umschlagen: schätze also dein Umfeld ein, bevor du etwas sagst. Ist der Sprecher Teil einer Gruppe? Ist die Gegend verlassen? Bist du allein? Sind Kinder anwesend? Denke über diese Dinge nach, bevor du etwas sagst.
Sage nichts. Ein fragender Blick ist vielleicht die effektivste und am wenigsten provozierende Antwort, die in solch einer Situation angemessen ist, wenn du dich nicht sicher fühlst, mehr zu sagen. Setze deinen Weg fort.
Sage etwas. „Möglicherweise meinen Sie es gut mit Ihrem Kommentar. Statt eines unaufgeforderten Kommentars, der meinen Körper bewertet, fände ich es respektvoller, wenn Sie mir ein Kompliment zu meinem schönen Lächeln (tollen Frisur…) machen.“ „Wow, einfach so ‚Z~‘ sagen statt ‚Sint*izze und Rom*nja‘. Sie frecher Typ Sie!“
Antworte kurz. Wenn du dich entscheidest, etwas zu sagen, sag es kurz und klar: „Ich finde diese Worte vorurteilsbeladen. Sie setzen mich herab.“ oder „Ich finde es ist falsch Menschen so in Schubladen zu drücken.“ „Sie meinen, nur durch Abnehmen bin ich Ordnung?“ „Ich empfinde meinen Körper und meine Gesundheit als Privatsache.“
Zeige den Vorfall einer Gruppe an, die sich für die Rechte dieser Gruppe einsetzt. Lokale Gruppen, die sich z.B. für Homosexuelle oder Minderheiten einsetzen, sind meist daran interessiert, zu erfahren, was gerade in der Nachbarschaft zu ihrem Thema passiert. Ruf sie an; sage Ihnen was du gehört hast, wann und wo. Vielleicht sehen Sie Tendenzen, die du nicht kennst, und können mit den lokalen Behörden diese Vorfälle besprechen.
Wehre dich verbal. Wenn du mehrfach abwertende Kommentare erlebst, entlarve sie schneller, indem du dich z.B. mit Hate Speech Hilfen beschäftigst.
+1. Gerade in Situationen in der Öffentlichkeit ist es wichtig, dass du einen anderen Menschen, der eine Diskriminierung anspricht, unterstützt. Ein kleiner Satz wie „Das sehe ich genauso.“ kann schon viel bewirken. Schätze immer zunächst deine eigene Sicherheit ein.
„Diese latenten, jedoch bedeutenden Äußerungen, die den Migrationshintergrund betreffen, werden leider aufgrund von Höflichkeit nicht angesprochen.“ Studentin (33), Geschichtswissenschaft
Was kann ich bei Rassismus im Einzelhandel machen?
Erlebnisse
- Eine 18-Jährige mit spanischen Wurzeln möchte ihr Geburtstagsgeld in Salzburg in einem Geschäft mit Kunsthandwerk aus Afrika ausgeben. Ein Angestellter folgt ihr durch das ganze Geschäft und fragt fortwährend, wonach sie sucht. Andere Kundschaft, alle weiß, können sich die Sachen ansehen ohne solche Fragen. Als sie protestiert, wird sie gebeten, das Geschäft zu verlassen. „Ich dachte, diese Zeiten wären vorbei, dass man aus einem Geschäft geworfen wird, nur weil man nicht weiß ist.“
- Eine Frau in Bremen sieht in einem Geschäft, wie eine Angestellte zwei Türkinnen folgt. Sie nimmt ihnen Teile aus der Hand und hängt sie wieder auf die Kleiderstange. Die Angestellte wartet neben der Ankleidekabine, als eine der Frauen etwas anprobiert.
- Eine Latina kauft in einem großen Kaufhaus in Wien ein. Ein junger Angestellter folgt ihr ganz nah, aber spricht nicht mit ihr. Wenn sie sich bewegt, bewegt er sich. Wenn sie steht, steht er. Die Frau überlegt, ihn anzusprechen.
Sag was!
Wenn du einkaufen gehst, kann es gut sein, dass ungerechtfertigtes Profiling erlebst. Auch Teens und Jugendliche sind betroffen. Wenn die Kaufhaus-Detektive oder andere Angestellte jede Bewegung verfolgen, oder du siehst, wie sie das bei anderer Kundschaft tun, stoppe dieses Verhalten.
Inspirationen
Suche die Quelle. Vielleicht befolgen die Angestellten Vorgaben der Geschäftsführung? Frage, warum die Person dir (oder der anderen Person) folgt. Sage, du möchtest die gedruckte Vorschrift sehen, wo es um Diskriminierung geht.
Teile deine Erfahrung und Beobachtung mit Mitgliedern der Geschäftsführung, sage ihr, sie hat deinen künftigen Umsatz verloren.
Zeige deinen persönlichen Protest in der Öffentlichkeit. Gehe zum Kundendienst oder zur Kasse. Gib auf der Stelle deine Kundenkarte zurück, und sage warum du das tust – laut genug, damit dich andere Kundschaft hören kann.
Sage es anderen. Lass Freund*innen und Familie wissen, was dir (oder einer anderen Person) passiert ist. Ermutige sie, das Geschäft zu boykottieren, das Profiling betreibt. Und dass auch sie beim Geschäft anfragen, was deren Vorschriften (oder die Praxis) sind bezüglich Diskriminierung.
Sprich mit den Inhabenden. Wenn der Vorfall in einem Geschäft passiert, gehe. Und bevor du gehst, sage den Inhabenden, warum du gehst: „Der Mann am Nebentisch hat trotz Protestes abwertend ‚Türken und Araber‘ verwendet. Dadurch habe ich den Appetit verloren. Vielleicht sprechen Sie mal mit ihm, damit sie nicht noch mehr Umsatz verlieren.“
„Die meisten Menschen warten, bis jemand anderes den Mut zum Handeln aufbringt. Du kannst diese Person sein und damit einen großen Unterschied machen. Es ist vor allem wichtig, der angegriffenen Person zu zeigen, dass sie nicht allein ist.“ Amnesty International Deutschland, März 2020
Was kann ich gegen sachlich ungerechtfertigte Eingriffe machen bei Personen, die den Staat repräsentieren (Staatsorgange, Polizei, Behörden, Ämter, auch im medizinischen Bereich und bei Großunternehmen etc.)?
Erlebnisse
- Eine aus Sofia stammende Frau lebt seit 20 Jahren in Berlin, sie hat vor vielen Jahren die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen. Sie ist mit einem „deutsch“ aussehenden Mann verheiratet. Sie erzählt nach einer Weile sichtlich mitgenommen: „Wirklich, wirklich als sehr, sehr schlimm habe ich Folgendes empfunden: Wenn eine Repräsentanz des deutschen Staates offen Vorurteile ausübt. Vor drei Jahren standen wir nach einem Rückflug nach Deutschland zusammen bei der Passkontrolle. Der Zollbeamte hat mich und meinen Pass längere Zeit immer wieder prüfend angesehen. Er hat immer nur mit meinem Mann gesprochen, auch als es um mich ging. Ich kam mir vor wie eine „importierte Braut“. Auch als ich selber etwas gesagt habe, hat der Zollbeamte nur mit meinem Mann gesprochen. Ich fühlte mich sehr gedemütigt. Direkt nach der Situation war ich so fertig, ich habe geweint und wollte noch am Gepäckband den Beamten anzeigen, wollte mit dessen Chef sprechen. Was für eine Behandlung! Diese Person repräsentiert den deutschen Staat. So ein Verhalten geht nicht. Ich fühlte mich vom deutschen Staat angegriffen. Ich fühlte mich von meinem Staat angegriffen. Jetzt bin ich vorbereitet. Ich weiß, dass ich mir die Nummer oder den Namen der Person notiere, Ort und Uhrzeit, und danach Anzeige erstatte.
- Ein Afro-Amerikaner, der bei der Regierung angestellt ist, wird auf der Fahrt nach Hause innerhalb eines Monats vier Mal angehalten. Einmal sind sogar vier Polizeiwagen dabei. Sein „Verstoß“? Angeblich falsch die Spur gewechselt. Er fragt „Würde ein Weißer in meiner Situation das als normal akzeptieren? Warum sollte ich das als normal akzeptieren?“
- Ein arabisch aussehender junger Mann mit Bart aus Berlin, der nachts für einen Sicherheitsdienst arbeitet, wird häufig von der Polizei kontrolliert. „Schau, ich lebe ein einfaches Leben. Ich gehe zur Arbeit, ich fahre nach Hause. Ich trinke nicht, nehme keine Drogen, verkaufe sie nicht. Ich habe nichts falsch gemacht. Was ist das wirkliche Problem? Das passiert nur aus dem Grund, dass mein Erscheinungsbild dem Stereotyp vom Terroristen entspricht.“
- Eine junge Sintiza wird auf dem Bahnsteig vom Sicherheitsdienst eingekesselt. Als sie fragt, was los sei, sagt man ihr „Du bist hier nicht erwünscht.“
Sag was!
Es passiert so oft, dass es inzwischen auch im deutschsprachigen Raum unter den Begriffen „Rassistisches Profiling“ oder „Ethnisches Profiling“ bekannt ist: eine sachlich ungerechtfertigte Ungleichbehandlung aufgrund angenommener Abstammung. Geschichten von Schikanen, überdurchschnittlich häufigen Eingriffen in ihr Leben durch Staatsorgane, Polizei und Beamte, aber auch im medizinischen Bereich und bei Großunternehmen, aufgrund von rassistischem Denken, die (fälschlich) mit leichten Verstößen begründet werden.
Inspirationen
Konfrontiere die Vorurteile – später. Angestellte bei Polizei, Zoll und anderen den Staat repräsentierenden Institutionen haben sehr viel Macht. Mit ihnen im Moment des Vorfalls zu diskutieren, bringt generell nur Nachteile. Während Wut und Frust die normalen Reaktionen auf Diskriminierung sind, bemühe dich, ruhig zu bleiben. Bringe dich erst in Sicherheit.
Sprich gezielt mögliche Zeug*innen an. Nenne ihnen deinen Namen und eine Telefonnummer und bitte sie dort anzurufen.
Frage nach. Wenn es die Situation erlaubt, frage in ruhigem Ton, warum du angehalten worden bist. Frage nach der Nummer des/der Polizisten/in. Schreib die Identifikationsnummer des Polizeiwagens auf. Du hast ein Recht darauf, den Dienstausweis gezeigt zu bekommen. Notiere dir die Nummer oder den Namen der Person, oder präge sie dir gut ein, auch Ort und Uhrzeit. Schreibe nach dem Vorfall so viele Details wie möglich auf. Mit diesen Informationen kannst du eine Anzeige erstatten.
Reiche eine formelle Beschwerde ein. Jedes Mal, wenn ein unnötiger Eingriff passiert, nutze die offiziellen Wege, um eine Beschwerde einzureichen. Die Sprecher-Abteilungen der Polizeistellen sind ein guter Anlaufpunkt.
Informiere Menschenrechts-Organisationen (Bsp. Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP), copwatch_ffm, isdonline.de/monitoring, Polizeikontrollstelle.de).
Sensibilisiere weiße Menschen. Sprich im Freundschafts- und Familienkreis über deine Erfahrungen und frage nach ihren. Bitte auch sie, offizielle Beschwerden einzulegen. Halte die Erfahrungen der Einzelnen fest. Such auch Hilfe von Gruppen in der Nachbarschaft, die euch unterstützen.
Mache aufmerksam. Sprich die Medien an und bitte darum, dass das Thema behandelt wird. Gib ihnen Namen und Kontaktinformationen von Leuten, die bereit sind über ihre Erfahrungen zu sprechen.
Wie verhalte ich mich bei Vorurteilen gegen Menschen mit Behinderungen?
Erlebnisse
- Peter Holz, 30, hat das Down-Syndrom (Trisomie 21). Er kann zwar nicht lesen und schreiben, aber er lebt sein Leben selbstständig. Er mag Musik und spielt seit vielen Jahren in einem Streich-Quartett.
Peter und seine Mutter Astrid standen an der Supermarktkasse. Eine Frau hinter ihnen starrte ihn mit einem angeekelten Gesichtsausdruck an. Peter drehte sich zu seiner Mutter und fragte „Warum sieht mich die Frau hinter mir so komisch an?“ Astrid schaute die Frau an, dann wieder Peter. Sie fand es schwierig, ihm eine Antwort zu geben, die er verstehen kann.
Astrid sagte zu ihrem Sohn „Nun, Peter, ich vermute sie schaut dich so an, weil sie denkt, dass du seltsam bist.“ Peter dachte darüber einen Moment nach. Dann drehte er sich zu der Frau um und sagte „Ich bin nicht seltsam. Ich bin ein echt netter Kerl.“
- „[Eine] Rollstuhlfahrerin musste ohne Tisch schreiben, weil der Raum nur Stühle mit Tischen dran hatte. Auf Nachfrage an den Dozenten wurde der Raum nicht gewechselt und sie musste den Kurs verlassen.“
- Eine Frau aus Lehrte nutzt einen Rollstuhl. Sie boarded das Flugzeug mit ihrem Mann, als ein Flugbegleiter zu ihrem Mann – und nicht an sie gewandt – fragt „Braucht sie Hilfe beim Einsteigen?“
- Zwei Kollegen, von denen einer taub ist, werden zu einem Treffen mit einer Führungskraft einer anderen Firma gebeten. Sie gehen zu dessen Büro, und ein Zeichensprache-Vermittler kommt mit. Die Führungskraft schaut den Übersetzer an und spricht nur ihn an, er sieht den tauben Mitarbeiter nicht an, er nimmt gar nicht Notiz von dessen Anwesenheit.
Sag Was!
Viele von uns sind aufgewachsen ohne nennenswerte Berührung mit Menschen, die anders sind als wir selber. Deshalb wissen wir oft nicht, wie wir uns bei einer Begegnung mit einem Menschen, der eine Behinderung hat, verhalten sollen.
Inspirationen
Nutze den Moment. Mit dem Zeichensprachen-Übersetzer sagte der Kollege „Tut mir leid, ich muss kurz unterbrechen. Es ist üblich, dass Sie die Person ansehen, mit der sie sprechen, nicht den Übersetzer.“
Unterscheide. Was sagt meine Sprache? „Der Blinde“ oder „ein Mensch, der blind ist“? Die Sprache transportiert bei „Mensch, der blind ist“, dass es in erster Linie um einen Menschen geht. Dieser hat eine Behinderung, er wird aber nicht ausschließlich auf „die Behinderung“ eingeschränkt.
Informiere dich welche Begriffe für Menschen mit Behinderungen passen und welche nicht in Ordnung sind. Erklärungen und Begriffe findest du in den weiterführenden Links (bei Quellen).
Bau deine eigenen Berührungsängste ab. Statt das nächste Mal zum Spiel des eigenen Vereins zu gehen, besuchst du mit dem Freundeskreis einen Leichtathletik-Wettkampf von Menschen mit Behinderung. Kommt ins Gespräch mit anderen Anwesenden.
Beteilige dich. Bei der nächsten Petition, die sich für behindertengerechte Themen einsetzt, setzt du die eigene Unterschrift drunter. Sprich im Freundes- oder Arbeitskreis über das Thema.
Hinterfrage Gutgemeintes. Wie fühlst du dich, wenn dich jemand lobt, du seist gut über die Straße gekommen? Wie fühlst du dich, wenn dich eine fremde Person am Arm fasst und über die Kreuzung führt? Wie fühlst du dich, wenn zwei Personen in deiner Gegenwart von dir in der dritten Person sprechen? Besser: Frage den Menschen an, ob deine Hilfe erwünscht ist.
Denke nach. Denke über deine eigene Einstellung nach. Nimmst du vermeintlich „essenzielle“ Fähigkeiten als fehlend wahr? Betrachtest du die Person als vermindert fähig? „Um die Lage von Menschen mit Behinderung zu erleichtern, müssen Nichtbehinderte ihre Wahrnehmung korrigieren.“ (Weizsäcker)
Wie kann ich deutsch-deutsche Vorurteile abbauen?
Erlebnisse
- Im Westen [Deutschlands] ist die Vorstellung verbreitet …, die Bevölkerung der ehemaligen DDR kranke an selbst verschuldeter Leistungsschwäche und mangelndem Leistungswillen, fehlender Initiative, Untertanenmentalität und Undankbarkeit gegenüber westlicher Aufbauhilfe. Im Osten sind viele überzeugt, dass die Bewohner des Westens materiellen Wohlstand höher zu schätzen wüssten als menschliche Wärme, dass Ellbogenkraft wichtiger genommen werde als Solidarität, dass der Vereinigung ein „Okkupationsregime“ gefolgt sei, bei dem arrogante Westler den Osten ausgeplündert und regiert hätten. Wolfgang Benz, Stereotype des Ost-West-Gegensatzes
Sag was!
Besser-Wessi, Fauler Ossi? Vorurteile zwischen Ost und West spielen weiterhin eine Rolle in der deutschen Gesellschaft. Jahre zurückliegende Prägungen durch z.B. Eltern und Medien prägten die beiden Deutschen nachhaltig, Werte- und Mentalitätsunterschiede, unsensibler Umgang und Verständigungsprobleme trotz „derselben“ Sprache verfestigten bestimmte Annahmen. Die Deutsch-Französische Annährung nach dem 2. Weltkrieg war erfolgreich. Warum solle es die Deutsch-Deutsche nicht sein?
Inspirationen
Erkenne. Bestimmte Annahmen sind konstruiert und entsprechen nicht der Realität. Überlege, woher diese Ansichten kommen.
Wer profitiert? Überlege, wer von pauschalisierenden Annahmen bezüglich Ost- und West-Deutschen – vor allem in Hinblick auf Europa – profitiert? Ich selbst? Habe ich Vorteile z.B. bei der Arbeitssuche?
Wer verliert? Überlege auch hier, ob du selber unbewusst eine andere Person diskriminierst. Ist die Kollegin vielleicht gar nicht west-deutsch sozialisiert? Was bezweckst du mit dieser „Schublade“?
Schlage eine Brücke. Wenn sich die Möglichkeit ergibt, über den Arbeits- oder Freundeskreis eine offene „andere“ Person zu finden, frage, ob ein Gespräch über das Thema möglich sei und nähert euch behutsam.
Wie gehe ich meine eigenen Vorurteile an?
Erlebnisse
- Als wir Anfang Zwanzig waren, besuchten meine weißhäutige Kusine aus Schweden und ich aus Düsseldorf unsere adoptierte brasilianisch-stämmige Kusine Erica, die in Bern aufgewachsen war. Wir Drei flanierten durch Bern, als eine Frau auf uns zukam. Sie fragte an meine schwedische Kusine gerichtet nach dem Weg. Die guckte, nicht verstehend, erstaunt mich an, aber ich kannte mich nicht aus. Meine Kusine Erica antwortete der Frau in perfektem Schweizer-Deutsch.
- Stereotypen sitzen tief. Eine Frau aus Kelmis erzählt: Mein Vetter war mit seiner als feministisch gesinnten Mutter im Baumarkt. Seine Mutter ging zu einer Mitarbeiterin und fragte die Frau „Gibt es hier einen Mann, den ich um Rat fragen kann?“ – Der Sohn witzelte danach darüber mit der Mutter, die die Komik der Situation erkennen konnte.
- „Das Thema ‚racial profiling‘, davon lese ich in Interviews. Ich kriege selber wenig davon mit, lebe hier in einem guten Stadtteil. Wenn hier eine Schwarze Person rumläuft ist klar, das sind keine Migranten, keine Flüchtlinge, sondern wichtige Experten. Mit ‚racial profiling‘ habe ich nichts zu tun.“ sagt ein Mann aus Stuttgart.
- Eine schwergewichtige Person auf Reisen: „gab es mal eine junge Frau, die mich schon anstrahlte, als ich mich neben sie setzte, … ‚Ich mach mal die Lehne zwischen uns hoch, das ist doch viel bequemer für Sie!‘ Wow.“
Sag was!
Wenn du Momente täglicher Beleidigungen beobachtest, denke auch an dich selber.
Meist ist sehr schwer, sich selbst auf eigenes Fehlverhalten und vorurteilsbehaftetes Denken zu überprüfen. Sollte ein anderer Mensch dich auf ein Fehlverhalten hinweisen, halte deine Selbstverteidigung im Zaum, vor allem – beschimpfe die Person nicht weiter! Du könntest einen ganz anderen Weg ausprobieren: Danke der Person, vielleicht kommt ihr in ein interessantes Gespräch. Später überprüfe, ob der Kern der Aussage zutrifft, und du dein Verhalten tatsächlich künftig ändern kannst. Und wenn du meinst, Themen aus dem Bereich Diskriminierung haben mit dir nichts zu tun, frage dich selber, ob du in eine privilegierte Gruppe gehörst, und sensibler auf diese Themen achten könntest.
Inspirationen
Hinterfrage deine Einstellung. Hast du wirklich nichts mit „racial profiling“ oder Abwertung anderer zu tun? Was, wenn der wichtige Schwarze Experte täglich am Bahnhof von der Polizei kontrolliert wird oder im Kaufhaus schlecht behandelt wird? Halte deine Augen offen – bekommst du mit der Zeit häufiger mit, wie Nicht-Weiße angehalten und behandelt werden? Kannst du durch Hinschauen helfen? Ist deine Sprache politisch korrekt? Sei Beistand (siehe unten).
Öffne deine Augen. Vielleicht ist dir schon klar, dass du in eine privilegierte Gruppe hinein geboren wurdest. Daran bist du nicht schuld. Es geht nicht darum, ob du ein guter oder schlechter Mensch bist. Unsere Gesellschaft hat dich nicht in die Lage versetzt, dir über deine eigene Konditionierung Gedanken zu machen. Wie gehst du mit deinen dir unsichtbaren Privilegien um? Widerstand und Verleugnung sind hoffentlich nur ein Zwischenstadium bei dir. Hier ist deine Chance, dich weiterzuentwickeln.
Betrachte dich selbst. Bewahre andere vor der Aufgabe, dich mit deinen Vorurteilen konfrontieren zu müssen. Beobachte probeweise deine täglichen Aktionen genau hinsichtlich Vorurteilen; betrachte, wie deine eigenen Vorurteile dich beeinflussen – und was du unterlässt.
Akzeptiere deine Schwächen. Meist ist die erste Reaktion auf den Hinweis, sich stereotyp zu verhalten, Selbstverteidigung. Vielleicht magst du dich bemühen, beim nächsten Hinweis zu sagen „Danke für den Hinweis, ich werde darüber nachdenken.“ Und tue es dann auch.
Übe Mitgefühl. Versuche, die Person, die dich auf ein vermeintliches Vorurteil hingewiesen hat, zu verstehen. Schaffst du es für ein paar Minuten ihre Sicht der Dinge anzunehmen?
Ändere dein Verhalten. Wenn du merkst, dass Vorurteile deine Handlung beeinflussen, wechsle den Kurs und lerne deine Lektion. Denke daran, bei den nächsten Situationen inne zu halten.
Teile deine Erfahrung mit anderen. Sprich offen über dein vorurteilsbeladenes Verhalten. Lasse andere daran teilhaben, was du gelernt hast.
Fordere dich selbst heraus. Nimm dir Zeit, um dich selbst weiter zu entwickeln. Liste Diskriminierungskriterien auf (siehe Liste „Einige Merkmale…“) und denke nach, um deine eigenen Vorurteile zu überprüfen. Welche Schimpfwörter und Beleidigungen verwendest du? Welche Personengruppen oder Eigenschaften wertest du ab? Dadurch, dass du ein neutrales Wort wie „Penner“ oder „behindert“ als Beleidigung verwendest, würdigst du wohnungslose Menschen oder Menschen mit Behinderung herab. Nicht die Individuen tragen die Verantwortung, sondern unsere Gesellschaftsstruktur verleitet dazu. Wenn du anfängst zu erkennen, übernehme die Verantwortung für deinen Teil.
Sei Beistand. Du bist am Bahnhof und siehst, wie einige Polizist*innen Leute kontrollieren? Egal was der Grund sein könnte, sieh hin, ob es sich um Racial Profiling handeln könnte. Stelle dich einfach nur daneben, nimm Augenkontakt auf. Es sind nur wenige Minuten, die dich dieses Sichtbarmachen kostet, und es könnte für die Anderen sehr hilfreich sein. Lass dich nicht einschüchtern („Behinderung einer polizeilichen Maßnahme“) – wenn die kontrollierte Person zustimmt, muss die Polizei dich zunächst als Beistand akzeptieren. Bleibe freundlich.
Sei kreativ. Habe Spaß daran für Schimpfwörter Neuschöpfungen auszudenken, die politisch korrekt sind („Du stinkige Schimmeltomate!“, „Sie Schleimer!“)
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